450 Jahre Herzogtum Kurland und Semgallen

450 Jahre Herzogtum Kurland und Semgallen

Organisatoren
Ojars Sparitis, Riga
Ort
Jelgava/Mitau und Schloss Rundale (Lettland)
Land
Latvia
Vom - Bis
13.09.2011 - 14.09.2011
Url der Konferenzwebsite
Von
Magnus v. Hirschheydt, Seminar für Neuere Geschichte, Eberhard-Karls-Universität Tübingen

Die Tagung "450 Jahre Herzogtum Kurland und Semgallen" war Bestandteil einer wissenschaftlichen Gedenkfeier anlässlich der Gründung des Herzogtums Kurland und Semgallen im Jahr 1561. Diese Tagung wurde im Rahmen der Homburger Gespräche der M.C.A. Böckler – Mare Balticum Stiftung von Ojars Sparitis (Riga) organisiert und fand im historischen Gebäude der Academia Petrina des Gedert-Eliass-Museum für Geschichte und Kunst in Jelgava/Mitau und der ehemaligen Residenz der kurländischen Herzöge dem Museum Schloss Rundale/Ruhental im heutigen Lettland statt. Offiziell ging der Tagung – dem Anlass entsprechend – die feierliche Aussegnung des restaurierten Sarkopharges des ersten kurländischen Herzogs Gotthard Kettler in die kurländische Herzogengruft im Schloss Jelgava/Mitau durch den Erzbischof der Evangelisch-Lutherischen Kirche Lettlands, Janis Vanags, voraus. In den Vorträgen der Tagung wurden zwar insbesondere die Gründung und die frühe Phase des Herzogtums Kurland und Semgallens behandelt, nichtsdestoweniger wurde von den Konferenzteilnehmer/innen auch die Ereignisse des 16. Jahrhunderts beleuchtet und ein Bogen bis zum Tode des vorletzten regierenden Herzogs der Kettler-Dynastie, Friedrich Kasimirs, im Jahr 1698 geschlagen.

PETER WÖRSTER (Marburg) eröffnete die Tagung mit einem einleitenden Vortrag über die entscheidende Urkunde für die Entstehung des Herzogtums Kurland. Dabei ging er sowohl auf ihre Vor- als auch ihre Wirkungsgeschichte ein. Die sogenannte „Pacta Subiectionis“, welche im Archiv der kurländischen Ritterschaft erhalten ist, und sich somit im Herder-Institut in Marburg befindet, regelte das Verhältnis zwischen den ehemaligen adligen Vasallen des Deutschen Ordens und dem König von Polen, Sigismund II. August, der in Personalunion Großfürst von Litauen war. Wörster erläuterte, dass die Pacta Subiectionis eine Absicherung für den kurländischen Adel darstellten. Im Falle der Unterwerfung garantierte der polnische König dem Adel seine überkommenen Rechte, Freiheiten und Privilegien. Gleichzeitig verpflichtete er sich dem Adel Schutz vor Kaiser und Heiligem Römischen Reich zu gewähren, dessen Untertanen sie bis zur Unterwerfung gewesen waren. Der polnische König wollte eine Reichsacht verhindern und damit den Handel des Adels sowie dessen Güter im Alten Reich schützen. Wörster stellte fest, dass die politische Verfasstheit des Herzogtums Kurland als quasi “Adelsrepublik“ durch die Pacta Subiectionis definiert wurde. Der Adel sah deshalb die Pacta Subiectionis als eine Art kurländische Magna Carta an.

IMANTS LANCMANIS (Rundale) führte in seinem Vortrag in die kunstgeschichtliche Entwicklung des Herzogtums Kurland ein. Hierfür nahm er die Sarkophage der Herzogengruft im Schloss Jelgava als epochenübergreifende Beispiele. Diese gäben eine Bandbreite der Kunststile von Renaissance über Manierismus bis Historizismus wieder. Nach Ausführungen über die wechselhafte Geschichte der Herzogengruft, die mehrmals ihren Standort wechselte und letztendlich in den 1830er-Jahren im Neuen Schloss zu Jelgava ihren letzten Standort fand, setzte Lancmanis einen Schwerpunkt auf die bis heute andauernde Restauration der Sarkophage, welche seit dem Ersten Weltkrieg bis 1973 aufgrund der politischen Entwicklungen sehr stark in Mitleidenschaft gezogen worden waren. Fotodokumente des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts wären für die Restaurateure eine Referenz, die zusammen mit Forschungsberichten des 18. und 19. Jahrhunderts die Grundlage der Restauration und oftmals auch Rekonstruktion bildeten.

VALDA KLAVA (Riga) eröffnete den zweiten Konferenztag wiederum mit einem historischen Vortrag, der die Rolle der Mecklenburger Herzöge bei der Entstehung des Herzogtums Kurland im Jahr 1561 näher beleuchtete. Dabei stellte sie die Beziehungen des Hauses Mecklenburg zu Livland im engen Zusammenspiel mit den Herzögen von Preußen dar. Das Interesse der Mecklenburger Herzöge hatte sich erst nach dem Beginn der Reformation in Livland entwickelt und ging auf erste Versuche der Einflussnahme Albrechts VII. von Mecklenburg zurück. Sein Sohn Herzog Johann Albrecht I. von Mecklenburg konnte im Jahr 1554 seinen Bruder Christoph als Koadjutor des Erzbischofs von Riga installieren. Klava erläuterte, dass dies jedoch einem “illegitimen“ aber dennoch wirksamen livländischen Landtagsbeschluss von 1546, der das Indigenatsrecht vorschrieb, entgegen gestanden hätte. Klava ging bei der Beschreibung der daraus resultierenden Konsequenzen vor allem auf die Legitimations- und Argumentationsstruktur der Mecklenburger Partei ein, welche sie anhand der Rhetorik in öffentlichkeitswirksamen Manifesten analysierte. Den sich darin abzeichnenden Zerfall der livländischen Staatenwelt, bezeichnete Klava als Ausdruck der staatlichen Entwicklung der Frühen Neuzeit. Dieser Zerfall machte allerdings gleichzeitig die Hoffnungen Herzog Christophs auf den Rigaer Erzbischofsstuhl aufgrund der polnisch-litauischen Expansion zunichte. Die Mecklenburger Herzöge hätten sich aber noch durch Heirat mit den Herzögen von Kurland verbinden können, was jedoch später keine Konsequenzen mehr haben sollte.

MAGNUS VON HIRSCHHEYDT (Tübingen) ging in seinem Vortrag noch einmal genauer auf den Zerfall der livländischen Staatenwelt ein und verglich die historischen Ereignisse in den vier livländischen Bistümern Livlands und dem livländischen Ordensstaat von 1558 bis 1562. Hierbei stellte er fest, dass es nur im Erzbistum Riga eine längerfristige Planung der Mecklenburger Partei für das Schicksal des Erzstifts gegeben hätte. Dabei war jedoch keine Säkularisation vorgesehen. Eine Säkularisation hätte zunächst nur im Hochstift Dorpat statt gefunden, das schon 1558 von Truppen des Moskauer Großfürsten Ivan IV. erobert und besetzt worden war. Die Hochstifte Ösel-Wiek und Kurland wurden bis zum Jahr 1560 an Herzog Magnus von Holstein, den Bruder des dänischen Königs verkauft, der diese zunächst nur als Bistumsadministrator verwaltet hätte. Nur das Deutschordensterritorium sei aus eigenem Antrieb säkularisiert worden. Dabei entstand das Herzogtum Kurland und Semgallen. Hirschheydt kam zu dem Ergebnis, dass es sich bei den Verhaltensmustern der livländischen Akteure in den frühen Jahren des Livländischen Krieges nur um Improvisation und Reaktion auf die Handlungen auswärtiger Mächte handelte und deswegen beispielsweise die territoriale Arrondierung des Herzogtums Kurland noch mehrere Jahrzehnte nach dessen Gründung in Anspruch nehmen sollte.

JULIA TRINKERT (Kiel) beschäftigte sich mit der Kunstförderung durch die erste Herzogin von Kurland, Anna von Mecklenburg (1533-1602). Hierbei musste sie zunächst feststellen, dass sich keine Kunstgegenstände aus der Kettler-Dynastie erhalten haben. Es seien aber noch Hinweise auf eine eigenständige Entwicklung der Kunst in Kurland besonders nach der Umsiedelung der Residenz von Riga nach Mitau unter dem Einfluss der Herzogin aus dem Mecklenburger Hause nachweisbar. Trinkert stützte sich hierbei vor allem auf ein Portraitgemälde des Herzogenpaares, welches sich heute in Nordrhein-Westfalen in Privatbesitz befindet. Dieses sei eine Kompilierung zweier zeitgenössischer Portraits, die zweifellos in der Tradition der Mecklenburger Portraitmalerei stehen, wie sie vor allem in Güstrow unter Herzog Ulrich von Mecklenburg zu finden seien. Daraus ließe sich schließen, dass mit Herzogin Anna auch die malerische Tradition der Mecklenburger Portraits Einzug in Kurland gehalten habe.

Der nächste Vortrag hatte wieder ein historisches Profil, wobei MARITE JAKOWLEWA (Riga) eine Neubewertung Herzog Friedrichs (1569-1642) von Kurland vornahm. Dieser wurde in der alten Forschung wenig geschätzt und erst in jüngste Zeit durch Volker Keller positiver dargestellt.1 Jakowlewa beschrieb zunächst in Grundzügen das Leben Herzog Friedrichs, um daraufhin die eigentlichen politischen Handlungen herauszuarbeiten und zu analysieren. Insbesondere ging sie auf die Zeit des geteilten Herzogtums Kurland ein, und konnte aufzeigen, dass sich Herzog Friedrich nicht gegen seinen Bruder Wilhelm gestellt hat. Zudem hätte er sich durch ambitionierte innenpolitische Reformen hervor getan, welche das Stadtrecht und das Polizeirecht betrafen. Die Macht der kurländischen Ritterschaft, welche während der Teilung des Herzogtums seinen Bruder zu Fall gebracht hätte, konnte aber auch Herzog Friedrich nicht einschränken. Er sei vielmehr mit dem Plan gescheitert, die Städte in die Verwaltung des Landes mit einzubeziehen. Gerade aber im Verhalten Herzog Friedrichs während des Polnisch-schwedischen Krieges zwischen 1600 und 1629 stellte Jakowlewa fest, dass er ein Herzog gewesen sei, der sich gegen europäischen Großmächte behaupten konnte und in seiner Wirkung für das Herzogtum Kurland nicht unterschätzt werden dürfe.

Im nächsten Vortrag stand vor allem die Sakralkunst der Kettler-Dynastie im Vordergrund. ULRIKE NÜRNBERGER (Berlin) setzte das geistliche Kunstschaffen in Kurland in Zusammenhang mit der Reformation. Die Auswirkungen seien vor allem im ambitionierten Kirchenbauprogramm Gotthard Kettlers zu spüren. Besonders die St. Trinitatiskirche in Mitau wäre für die nordische Renaissance ein anschauliches Beispiel gewesen. Die Empore der St. Trinitatiskirche, welche im Zweiten Weltkrieg zerstört wurde, sei dennoch gut dokumentiert und zeichne sich durch eine große Bilderfülle aus. Nürnberger zeigte aber auch, dass die evangelische Kunst Gotthard Kettlers zwar einen stilistischen Zäsurpunkt darstellte, aber dennoch einer langen Tradition hochwertiger sakraler Kunst in Livland entsprang.

Auf die Frage nach stilistischen Vorbildern für die Architektur des späten 17. Jahrhunderts im Herzogtum Kurland untersuchte ANNA ANCANE (Riga) die holländischen Einflüsse. Dabei behandelte sie zunächst die weltliche Architektur und grenzte diese anschließend gegenüber der geistlichen Architektur ab. Sie zeigte, dass in Livland die holländischen Einflüsse vor allem durch die schwedische Vermittlung durchgesetzt worden seien. Im Besonderen zeige sich dies in den schwedischen Fortifikationen der Städte, die dem Muster der Schule der Leidener Militärtheorien entsprächen. In Riga seien zudem bis heute einige wenige Bürgerhäuser erhalten, welche den holländischen Einfluss eindrucksvoll wiedergäben. In Kurland sei vor allem die Sakralarchitektur holländisch beeinflusst, was Ancane am Beispiel der evangelischen Kirche in Subate zeige. Diese entspräche dem Ideal der evangelischen Tempelarchitektur, welche vor allem eine Einheit im Innenraum ausdrücken wollte. Ancane wies allerdings nach, dass diese Kirche weder von den Schweden noch vom kurländischen Hof beeinflusst, sondern vielmehr unter Regie der dort ansässigen Adelsfamilie nach Vorbild der reformierten Kirche im litauischen Kedainiai errichtet worden sei. Ancane schloss daraus, dass die holländischen Einflüsse somit auf mehreren Wegen in Livland Eingang gefunden hätten.

ULRICH SCHOENBORN (Marburg) rundete die Konferenz mit einem Vortrag über Louise Charlotte von Brandenburg (1616-1676), die Ehefrau Herzog Jakobs von Kurland (1610-1682) ab. Anhand der Auswertung ihres reichhaltigen Briefverkehrs zeichnete Schoenborn ein detailliertes Bild der kurländischen Herzogin. Er setzte ihr Leben dabei in den politischen Kontext Europas, der immer ihr Schicksal bestimmt hätte. Die Hochzeit 1645 mit Jakob von Kurland setzte ein religionspolitisches Zeichen, da sie als Schwester des reformierten Kurfürsten Friedrich Wilhelm von Brandenburg den dezidiert lutherischen Herzog von Kurland heiratete. Die Söhne aus dieser Ehe sollten im lutherischen und die Töchter im reformierten Bekenntnis erzogen werden. Die von einem reformierten Prediger vollzogene kirchliche Zeremonie erneuerte damit die traditionelle Verbindung zwischen Preußen und Kurland. Louise Charlotte hätte zum einen freiwillig Anteil an der Politik ihres Mannes gehabt. Sie sei allerdings zum anderen auch durch die Politik zum Handeln gezwungen worden, wie Schoenborn anhand der schwedischen Gefangenschaft Louise Charlottes darstellte. Am Beispiel ihres Schicksals zeigte Schoenborn die Lage, welche das Herzogtum Kurland zwischen den großen Mächten zu meistern hatte und welche Möglichkeiten den Herzögen geblieben seien. Während Preußen sich in den schwedisch-polnischen Kriegen die Autonomie hätte sichern können, sei es dem kurländischen Herzog nur mit Mühe möglich gewesen, Nachteile für seine Herrschaft zu verhindern.

Der besondere Anlass der Tagung, das 450jährige Jubiläum der Gründung des Herzogtums Kurland und Semgallen, bildete einen außergewöhnlichen Rahmen für eine internationale und interdisziplinäre Fachtagung. Der kunstgeschichtliche Schwerpunkt gab Historikern und Kunsthistorikern zusätzlich eine gemeinsame Plattform, wie sie für die Geschichtsforschung der baltischen Lande normalerweise nicht besteht. Es zeigte sich, dass sich die Forschungsperspektiven von Historikern und Kunsthistorikern in fruchtbarem Maße ergänzen und neue analytische Ansätze zulassen können. Das Schicksal des Herzogtums Kurland im 16. und 17. Jahrhundert eignete sich sehr gut für einen solchen Austausch. Die Themen der Vorträge leiteten gut in einander über und bauten aufeinander auf, so dass sich am Ende ein fast vollständiges Bild von Geschichte und Kultur im Herzogtum Kurland während der Kettler-Dynastie ergab.

Konferenzübersicht:

Uwe Albrecht (Kiel) / Ojars Sparitis (Riga): Begrüßung

Peter Wörster (Marburg): Die Pacta Subiectionis 1561 als Gründungsdokument des Herzogtums Kurland

Imants Lancmanis (Rundale): Die kurländische Herzogsgruft im Schloss zu Mitau

Valda Klava (Riga): Regionale Politik in der Mitte des 16. Jahrhunderts. Der Beitrag Mecklenburgs zur Entstehung des Herzogtums Kurland

Magnus von Hirschheydt (Tübingen): Die Säkularisationen der geistlichen Staaten Altlivlands 1558/61. Typologie und Vergleich

Julia Trinkert (Kiel): Herzogin Anna von Mecklenburg-Kurland (1533–1602) – ambitionierte Kunstvermittlerin am kurländischen Hofe des ausgehenden 16. Jahrhunderts

Marite Jakovleva (Riga): Herzog Friedrich (1587–1642) und seine Verdienste um den Fortbestand des Herzogtums

Ulrike Nürnberger (Berlin): Politischer und kultureller Wandel und die Folgen für die Kunst in Zeiten der Kettler-Dynastie

Anna Ancane (Riga): Dutch Influences in the Architecture of Riga and Duchy of Courland in the second half of the 17th century

Ulrich Schoenborn (Marburg): Die Frau an Jakobs Seite. Louise Charlotte von Brandenburg und Herzogin von Kurland (1617–1676)

Uwe Albrecht (Kiel): Abschlussdiskussion

Anmerkung:
1 Volker Keller, Herzog Friedrich von Kurland (1569-1642). Verfassungs-, Nachfolge- und Neutralitätspolitik, Marburg 2005.


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